999 – First Generation Punk band
999 gehören zu den unpopulärsten (erfolgreichen) britischen Acts. Die Medien nehmen kaum Notiz von ihnen, trotzdem haben sie ein ständig wachsendes Publikum. Von Kentucky bis Belgrad. Seit 1977 in gleicher Besetzung zusammen, spielen sie eingängige, kurze, harte Rocksongs.
Sell Dir doch mal vor, da stehst Du zum zweitenmal in deinem Leben auf der Bühne, und schon hast du ’nen Plattenvertrag in der Tasche. So was wäre doch heute gar nicht mehr möglich.“ — Nick Cash, Sänger und Rhythmusgitarrist von 999 stehen Wehmut und Nostalgie förmlich ins Gesicht geschrieben, wenn er sich an die Frühpunk-Ära zurückerinnert. „Das war schon eine tolle Zeit! Die Plattenfirmen überboten sich regelrecht damit, alles unter Vertrag zu nehmen, was von der Norm abwich. Je schräger die Töne, je schlechter die Musiker — desto größer war die Chance, bei einer renommierten Company unterzukommen“.
Der folgenschwere Gig im Londoner Nashville als Anheizer für The Jam, aus dem die Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Albion-Label resultierte, war für den untersetzten, fülligen Mittdreißiger allerdings nicht die erste Aktivität im Pop-Business. Schon geraume Zeit zuvor schloß er sich Kilburn And The High Roads an, Ian Durys unorthodoxer, bizarr gewandeter Klamauktruppe, die auf der Insel schnell zur Kultband avancierte. Ja, das war nach meinem vorzeitigen Abgang von der Art-School“, schmunzelt Nick. „Die Leute waren einfach zu blöd, um mein künstlerisches Schaffen zu begreifen und legten mir nahe, die Branche zu wechseln. Kurz darauf überredete mich Ian dann, mir ’ne Gitarre umzuschnallen und bei den Kilburns einzusteigen. Keiner von uns beherrschte seinerzeit ein Instrument, aber das war ja auch vollkommen unwichtig. Kilburn And The Highroads — das war ein bunt zusammengewürfelter Haufen Totalfreaks, Alchemisten, Spiritisten…
Alles Jungs, denen das Zurschaustellen musikalischer Inkompetenz und ihrer eigenen desolaten Persönlichkeiten einen diabolischen Spaß bereitete. Klar, die Öffentlichkeit war von unserem Auftreten entsetzt, für die Musikpresse waren wir halt einfach durchgedrehte Spinner und obendrein die ‚häßlichste Band aller Zeiten‘. Hahaha…, aber das stimmte eigentlich gar nicht, denn du hättest mal die verkorksten Subjekte sehen sollen, die bei unseren Gigs anwesend waren. Die entarteten nämlich regelmäßig zu wahren Happenings gesellschaftlicher Randexistenzen.
Trotzdem waren wir an einem guten Abend einfach unschlagbar…“
Nun, letztendlich überwogen die schlechteren live-Darbietungen, ein lausig produziertes Debütalbum folgte und nach knapp 2 Jahren war das Kilburn-Projekt für Nick endgültig passe. 999 formierten sich dann schließlich im Frühjahr 77 als eine der „First Generation Punkbands“, wie Nick immer wieder nachdrücklich betont. Und auch heute, fast vier Jahre später, ist das Quartett noch immer in Originalbesetzung zusammen. (Schlagzeuger Pablo Labritain ist nach längerer Abstinenz wieder dabei, Ed Case hat es zu Hazel O’Conners Band verschlagen.) Die Vier gehören heute sicherlich zu den unpopulärsten britischen Acts, die allen gängigen Trends und Moden zum Trotz beharrlich an den 77er Werten und Idealen festhalten. Eine ‚Peoples Band‘
zu sein, so definiert Nick dann auch den selbsterhobenen Anspruch seiner Truppe, und dem werden 999 heute allemal gerecht.
Es ist schon beeindruckend mitzuerleben, wie die Schranken zwischen Bühne und Publikum im Konzertsaal geradezu mühelos aufgehoben werden, wie reibungslos die Kommunikation funktioniert. Nick nimmt sich immer wieder Zeit, auf die Zwischenrufe der Anhängerschaft einzugehen, ist redlich bemüht, jeden Einzelnen am Geschehen zu beteiligen. 999 hat sich viel von dem unqestümen Drive, von der Spontaneität und Spielfreude ihrer Anfangstage erhalten können. Und wenn die Leute „Homicide“ noch ein zweites Mal hören wollen, geben die Jungs auch noch eine vierte Zugabe und holen die Kids sogar zu sich auf die Bühne, um gemeinsam das Ende einer aktionsgeladenen Show zu bestreiten. Da läßt sich sogar entschuldigen, daß manche ihrer Songs durch eine Reihe aneinandergetürmter Riffs viel an Profil einbüßen, daß Guy Days kurze, prägnante Gitarrensoli live oft unnötig lang geraten und gefährlich in die Nähe übelster Schwermetallexzesse abdriften.
„Es ist schon ein großartiges Gefühl“, resümiert Nick Cash selbstzufrieden beim anschließenden Abendessen, „wenn das Publikum so euphorisch mitgeht wie am heutigen Abend. Wir haben mittlerweile eine hartgesottene Fangemeinde, die mit einer bestimmten Erwartung zu unseren Konzerten kommt, und deswegen kann ich Dir garantieren, daß wir unsere eingeschlagene Richtung konsequent weiterverfolgen werden. Wir sind auch zukünftig bemüht, kurze, eingängige Popsongs zu schreiben. Songs, die man bereits nach dem ersten Hören mitsingen kann. Nimm beispielsweise „That’s The Way It Goes“, den Refrain hat heute die ganze Halle geschlossen mitgegrölt— und wir haben die Nummer beim gestrigen Gig in Stuttgart erstmals live gespielt.
Mit Sicherheit sind demnach also keinerlei Neuerungen und Experimente im 999-Konzept zu erwarten“, verrät Nick, „denn wir stehen einfach zu dem, was wir immer gemacht haben. Unsere Einstellung und Haltung war nie bloße Attitüde. Oh ja, ich weiß, als Rockkritiker hättest du das Attribut .Kritiker‘ nicht verdient“, setzt es dann einen ironischen Seitenhieb in meine
Richtung, .wenn du unseren infantilen Spaß und die ganze Anmache nicht auch als fürchterlich altmodisch empfinden würdest. So geht es uns nämlich gegenwärtig in England. We seem to be terribfy uniashionable… Unser letztes Album, THE BIGGEST PRIZE IN SPORT, ist zwar recht gut gelaufen, trotzdem bekamen wir kam Airplay und von der Presse sind wir in den vergangenen Jahren total ignoriert worden. Dabei haben wir sogar Interviews gegeben“, schüttelt er resigniert den Kopf, „aber die sind niemals veröffentlicht worden. Aber obwohl wir von den Medien regelrecht boykottiert werden, scheinen wir heute einen größeren Zuschauerkreis als je zuvor zu erreichen“.
Womit der gute Nick zweifellos recht hat, denn 999 ist in erster Linie ein Live-Act, eine Band, die auch in Regionen auftritt, die auf Tourneen anderer Bands wohl kaum berücksichtigt werden. „Kürzlich sind wir als Headliner durch total ausverkaufte Hallen in Spanien und Portugal getourt“, weiß Nick zu berichten. „Und in Jugoslawien sind wir zur Zeit die populärste Gruppe überhaupt. Bei unserem Gig in Belgrad wachte ein Riesenaufgebot Polizisten und Ordner darüber, daß keiner seinen Platz verließ. Du hättest mal sehen sollen, wie konsterniert die geguckt haben, als ich von der Bühne runtersprang und die Leute zum Mitmachen animieren wollte…“
Sogar im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das die Band im Frühjahr nahezu drei Monate bereiste, haben Nick & Co. ausschließlich positive Erfahrungen gesammelt: „Wir sind dort überall aufgetreten und selbst in den entlegensten Prärienestern waren die Hallen brechend voll. Ob du’s glaubst oder nicht, aber nicht einmal mit den vielbemitleideten Rednecks gab es nennenswerte Schwierigkeiten“.
Als Nick daraufhin von Eurem erstaunt dreinblickenden Berichterstatter Notiz nimmt, fühlt er sich dann doch bemüßigt, seine US-Vorliebe zu konkretisieren: „In Amerika gibt es keine überregionale Musikpresse, und das ist vielleicht ganz gut so, denn das Publikum war vollkommen unvoreingenommen. Klar, das sind alles einfache, anspruchslose Leute, aber rechtfertigt das etwa die maßlose Überheblichkeit, mit der Viele den Lebensumständen im amerikanischen Mittelwesten begegnen?“