80s Pleasures


Der kühle Hauch des New Ware ist schon seil einiger Zeil wieder zu verspüren. Das oft verkündete große Comeback der HOer-Jahre blieb bislang jedoch in Details und Nischen stecken. Eine neue Generation vor allem junger Musiker innen nie La Roux. Liltle Boots und Ladyhawke ist nun dabei, dies zu ändern. Sie holen den puren Pop der 80er zurück. Warum denn auch nicht?

I’ve got love for you If you were born in the 80s I’ve got hugsforyou Ifyou were born in the 80s I’ll do things for you Ifyou were born in the 80s I’ve got hugsforyou Ifyou were born in the 80s Yeah (..Acceptabie In The 80s“, Calvin Harris, 2007) It was acceptable in the 80s It was acceptable at the time Sally Shapiro wird wohl eine Ausnahme bleiben. So wild entschlossen ist sonst niemand. Oder besser: so dermaßen entrückt. Von ihr heißt es, sie habe droben im heimatlichen Göteborg ein Türchen gefunden, durch das man sich ins Italo-Disco-Land träumen kann. Dort schwelgt sie ganz ungeniert, kuschelt mit den Synthesizerharmonien, tschilpt arglos wie ein Vöglein zum alierdünnsten Tschk-tschk-tschk der Handclaps aus der Rhythmusbox. Sie kommt nur noch zurück, um sich den Eurovision Song Contest anzuschauen:

„Das mache ich immernoch jedes Jahr mit meinen Freunden“, wie sie in einem ihrer seltenen, dafür zuverlässig schüchternen Interviews erzählt. (Und, zugegeben, gerne auch mal, um allerlei Zartem von Suzanne Vega oder Belle & Sebastian zu lauschen.) Shapiros zweites Album heißt I nicht von ungefähr MY GUILTY PLEASüRE. Bezieht sie sich doch weiterhin auf ein Genre, in dessem Namen einige der schlimmsten Verbrechen der Pop-80er begangen wurden. Dennoch sind nicht nur die Freunde der Italo-Disco begeistert, die seit einiger Zeit auch bei anderen, allerdings eher clubonentierten Acts wie Heartbreak, Chromeo oder Rodion fündig werden. Selbst pitchforkmedia.com, quasi die offizielle (US-)Independent-Behörde im www, frohlockt über so viel Unschuld und Banalität. Der Kollege Josef Winkler hingegen mag nicht frohlocken, als im Juli 2009 in der Redaktion darüber beraten wird, ob Sally Shapiro nicht einer genaueren Beobachtung durch den Mü-SIKEXPRESS unterzogen werden sollte. Er zieht vielmehr böse Vergleiche: „Was ist denn das? C. C. Catch? Das Comeback von Stephanie von Monaco?!“

Hoppla, übertreibt er nicht ein bisschen?

Es geht noch mehr 80er

Doch selbst wenn, in Winklers von Abscheu genährter Kritik steckt eine Erkenntnis, vor der es kein Reißaus gibt: Es ist offenkundig nicht nur so, dass das Comeback der 80er, das seit mindestens fünf Jahren in der Luft hegt, endlich nennenswerte Mehrheiten erreicht. Nein, es musste eben auch erst der offensichtlichste Pop der mittleren 80er zurückkehren, um 25 Jahre später den Mainstream zu infiltrieren – und das Revival zu vollenden.

In Deutschland ist es derart ausdrücklich zu Werke gehenden Bands und Künstler(innen) wie La Roux, Empire Of The Sun, Ladyhawke und Little Boots, anders als in Großbritannien, zwar noch nicht gelungen, richtige Hits zu landen. Und von Acts wie dem (vom 80s-Kronzeugen Stuart Price produzierten) recht aufdringlichen Briten Frankmusik oder den kanadischen Dragonette hat man hierzulande bislang nur wenig gehört. Aber die größten unter den Ohrwürmer rotieren, in Clubs und auf Radiosendern – selbst im Programm derer, die „die besten Hits der 80er“ ohnehin nie aus dem Programm genommen haben. Die Musik und ihre Protagonisten werden diskutiert und als ein Phänomen wahrgenommen, das in popkulturell verwirrenden Zeiten durchaus als Trend durchgehen könnte. Hey, als Trendl

Mischt Frau Gaga mit?

Was der Angelegenheit noch mehr Gewicht verleiht: Auch der neue Megastar Lady Gaga darf dafür herhalten, wenn es darum geht, das Comeback des 80s-Pop dingfest zu machen. Vieles, was die ehemalige Musikstudentin Stefani Germanotta im synthesizerlastigen Sound ihres Albumdebüts THE FAME vereint, bezieht sich tatsächlich recht eindeutig auf die Ursprünge des Dancepop in den 80ern. Doch genauso wie die von ihr anvisierte Konkurrenz — Madonna, Kylie, Britney usw. — könnte sich eine Künstlerin mit so großen Plänen wie Lady Gaga es gar nicht leisten, ein Album aufzunehmen, das sich an nur einem Trend orientiert. Die Dame Gaga feuert aus vielen Rohren.

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Wie kann man denn bitte schön die 80er gut finden?! Also: ausgerechnet diese 80er?!

Immerhin könnten sich jene (formely known as) Indiepop-Musiker(innen), die mit immer offensichtlicheren Ohrwürmern im Sound der 80er in die Charts drängen, Argumentationshilfe von ihr holen. Denn wer die Mechanismen des Pop ein wenig genauer studiert hat, und das hat Germanotta mit besonderer Aufmerksamkeit für Warhols Theorien getan, dreht die Vorzeichen mittels Behauptung einfach um. Wie einfach das geht, führt sie im Interview mit Welt Online vor:

„Wenn die Leute mich sehen, denken sie: ,Oh, sie ist so Subkultur, so absolut unangepasst, also muss sie auch ¿wahnsinnig unangepasste Musik machen.‘ Aber das ist total falsch. Tatsächlich ist es ja so, dass es in der Subkultur total unangepasst ist, angepasste Musik zu machen. Mainstream als Provokation, wenn Sie so wollen.“

Zu vermuten ist allerdings, dass der von Miss Gaga dargebotene Mainstream die sog. Subkultur wohl eher langweilt als zu provozieren. Nein, besser/schlechter noch: Wo lässt sich 2009 im Pop überhaupt noch eine nennenswerte Subkultur finden, die sich mit solche Fragen auseinandersetzt? Auch die gelegentlichen kritischen Fragen, die den Ladyhawkes und Linie Boots gestellt werden, zeugen eigentlich nur von einem gewissen Unverständnis ihrer älteren Gegenüber, die sich schwertun mit der neuen Zeitenwende:

Die Tolle als Kindheitstraum

Die Reaktionen auf solche Fragen sind manchmal von fast entwaffnender Unschuld. Da erklärt Elly Jackson, Stimme, Gesicht und Haartolle von La Roux, im Interview mit stern.de ausgerechnet den Sänger der belanglosen 80er-Haartrachtband A Flock Of Seagulls zum „ganz großen Einfluss au} meinen Style, er hat mich zu dieser Frisur inspiriert. Mike Score – und die Sänger der 50er- und 60er-Jahre, so gegelt und zurückgekämmt: Das fand ich immer klasse. Früher als kleines Kind habe ich das immer mit Shampoo in der Badewanne gemacht, heute laufe ich jeden Tag so herum. Herrlich!“ (Geboren wurde Elly Jackson 1988, sechs Jahre nach dem kurzen Hoch von einem UK-Top-Ten-Single-Hit für die New-Wave-Popper aus Liverpool.) Und Philhpa „Pip“ Brown, bekannt unter ihrem Künstlernamen Ladyhawke und immerhin schon 30-jährig, erläutert dem Magazin Q: „Ich bin in den SOern aufgewachsen. Und wurde dadurch mit allem bombardiert, was die Popkultur ausmachte – nicht nur die Musik, sondern auch das Spielzeug dieser Zeit, die Computerspiele. Das hatte alles einen Rieseneinfluss auf mich.“

Wie man die 80er — mit großer Lust am so naiven wie ungebremst modernistischen Synthiepop, dem viel zu selten wenigstens zu Trevor Hörn’scher Größe aufgeblasenen Plastikpomp, den gar unter objektiven Gesichtspunkten unmöglichen Outfits und Frisuren – gut finden kann? Ganz einfach: Wer sie als Kind erlebt hat, muss sie einfach lieben. Das aufregende Zeichentrickvideo zu A-has „Take On Me“, die endlos flauschigen Haare von Kajagoogoo, die Gremlins, Tron und E.T., die schiere Pracht von Dekadenschlagern wie „Gold“ von Spandau Ballet oder „Shout“ von Tears For Fears — diese Dinge bleiben im Herzen.

Umwege zum Glück

Um diese Einflüsse aus ihrer Kindheit und Jugend allerdings in der eigenen Musik zuzulassen, gingen fast all die jungen Künstler(innen), die es nun auf die 80er anlegen, Umwege: Victoria Christina Hesketh alias Little Boots musste sich von ihrer stilistisch eher unentschlossenen Indiepop-Formation Dead Disco frei spielen. Ladyhawke arbeitete sich in ihrer Heimat Neuseeland zuerst an Punk- und Garagenrock ab, bevor die Multnnstrurnentalistin an der Seite von Nick Littlemore in Sidney noch ein wenig launig scheppernden Art-Disco-Rock fabrizierte. Eben jener Nick Littlemore, der mit Luke Steele das schwelgerische Pet-Shop-Boys-on-Fantasy-Duo Empire Of The Sun unterhält. Steele, 29, wiederum hat mit seiner leider oft nur von Kritikern geschätzten Indierock-Kapelle The Sleepy Jackson schon eine Karriere von zehn Jahren hinter sich. Und Elly Jackson griff, inspiriert durch die Folk-Platten ihrer Eltern (bei denen allerdings auch die Eurythmics und Michael Jackson im Schrank standen), zuerst einmal zur Gitarre, bevor sie den Synthesizer für sich entdeckte: „Ab da war ich bestimmt ein Jahr lang fast täglich auf iTunes, um mir 80er-Jahre-Sachen anzuhören: Thompson Twins, ABC, Japan, Blancmange, alles, was Human League gemacht haben, und auch alles von Heaven 17. Und die frühen Depeche Mode.“

Nur ein Generationswech.se ?

Wer möchte, könnte nun nach der sich aufdrängenden, wunderbar simplen Logik des Generationswechsels aufs nächste Trend-Pferd setzen (Kommt der Grunge zurück? Oder zuerst, oh Gott, Eurodisco?!) Oder sich Gedanken darüber machen, ob die unzähligen Bands, die in den vergangenen Jahren eifrig den Postpunk und den frühen New Wave beliehen haben, entsprechend eine muntere und glückliche Kindheit unter Beschallung von Joy Division und Gary Numan verlebt hatten. Nein, eine zuverlässige, nach Abrechnungssystem funktionierende Revival-Regel gibt es nicht. Und tatsächlich wird am synthetischen Sound der 80er ja auch schon seit ein paar Jahren gedreht. Vieles in der jüngsten Elektrofizierung des IndierockApop, bei Bands wie Klaxons, Passion Pit oder Cut Copy, klingt eben nicht nur nach den Block Rockin‘ Beats der 90er, sondern wurzelt u. a. bei Human League, Shricback oder sogar Prince.

Z« einem anfangs unterschwelligen, dajiir ausdauernden Trend hat sich das 80er-Jahre- Revhal in der Mode entwickelt. Spätestens seil der Rückkehr der Leggins 200> ist das Jahrzehnt derSlyle-Fauxpas niederhip. Angelehnt an Tanzfilmeben ivie „Footloose“, schickte ‚ jüngst der Designer Marc Jacobs Models in neonfarbenen Rüschen-Tiitüs, allerlei Taft und liodys über die Laufstege. Den Body führte Madonna allerdings schon im Video zu „Hang Up“ (2005) zurück zu seinen Aerobic-Wurzcln. Und fast iz’ie 1982, als Jane Fonda den sexy Sportgymnastik-Style bis auf die Straße brachte, findet die Kombination aus Lycra-Leggins mit Stulpen und Scbveißba’ndern heute nieder in die Clubs. Das Model zum SOs-Trend, Agyness Deyn (Foto), macht unterdessen nicht einmal vor Micbael-Jackson-Flochii’asserhosen hall – und auch nicht vor: Schulter polstern! I atiesmi tcbm’ider I Die elektronische Musikszene I I selbst hat, mit kürzeren Dienst-I und Produktionswegen und I auf unzählige Nischen und 1 Nischennischen verteilt, in den I vergangenen 20 Jahren wohl ein halbes Dutzend 80s-Revivals erlebt. Und über den Synthiepop, der wie beschrieben einen starken Einfluss auf den Zeitgeist ausübt, lässt sich feststellen, dass er sich nach seiner Einführung vor 30 Jahren und so einigen Stil-Abspaltungen bis heute als eigenständiges Genre behaupten konnte. Depeche Mode sei Dank.

80er, wohin man hört

Doch auch jenseits von Elektro haben die 80er immer wieder eine große Rolle gespielt. Voran gingen dabei vor allem die Überzeugungstäter: Den französischen Phoenix war und ist seit ihrem Debüt UNITED (2000) ausgerechnet der Softrock und Dancepop jener Jahre ein Anliegen. Die Schwedin Robyn hat für ihre Neuerfindung vor fünf Jahren nicht nur ihre Haare entsprechend stutzen lassen, sondern spickt ihren Elektropop mit eindeutigen Verweisen auf die junge Madonna bis hin zu Salt V Pepa. Aber auch noch vorsätzlichere Hitparaden-Stürmer wie Scissor Sisters, No Doubt und Mika taten offenkundig gut daran, in einzelnen Songs möglichst unverhohlen den 80s-Pop zu zitieren. Und was war das für ein feuchter Teenagepop-Traum, als die blutjungen und blitzsauberen Dänen von Alphabeat vergangenes Jahr Hits wie „Fascination“ vom Stapel ließen, die geeignet waren, sog. Kultfilme wie „Footloose“ und ,The Breakfast Club“ mit neun Soundtracks zu versehen? Nun, Ende 2008 wurden Alhabeat von ihrem Label Charisma gedroppt – der Traum macht Pause …) Dem in diesem Heft auch an anderer Stelle zu Wort kommenden Stuart Price (s.S. 8), der zuletzt als Produzent The Killers und Keane in einschlägigen Verruf gebracht hat, kommt bei der Wiederaufbereitung des immer noch ziemlich verpönten Popjahrzehnts gar eine Vorreiterrolle zu: „Als wir mit Zoot Woman begannen, haben wir viel Kram aus den 80ern gehört, Nik Kershaw oder Level 42 beispielsweise. Und zwar, weil sie so hoffnungslos unmodern waren“, erzählt er dem MU-SIKEXPRESS über das fast schon aberwitzige antizyklische Vorgehen seiner Band Ende der 90er. Wer sich heute das in Sachen Sound wie Songwriting bestechend konsequente Debüt von Zoot Woman von 2001 anhört, möchte dem zuständigen Label empfehlen, LIVING IN A MAGAZINE möglichst schnell mit möglichst viel Tamtam wiederzuveröffentlichen.

Aber warum fast nur Frauen?

Bleibt als vorerst letzte Frage zu klären: Weshalb sind es vor allem Frauen, die die Wiederkehr der 80er in so hitträchtiger Form vorantreiben? Beth Ditto von Gossip, zumindest in Sachen Styling gut in diesem Feature aufgehoben, hat da ihre ganz eigene Theorie, wie sie im Interview mit U-mag erläuterte: „Natürlich gibt es Ausnahmen, aber im Allgemeinen sehen Jungs mit Gitarre einfach besser aus, weil Frauen immer so wirken, als würden sie sich mit Gitarren nicht besonders wohlfühlen. Jetzt kommen aber die Synthies zurück, und sie bieten uns eine Plattform, die wir uns besser erschließen können.“

Frauen sehen mit Synthesizern einfach nur besser aus? Darüber möge sich Beth vielleicht gerade mal noch mit Kim Gordon auf eine Kanne grünen Tee zusammensetzen.

Angenehm wenig Testosteron

Und uns möge vielleicht die folgende These besser gefallen: Von lustigen Ausnahmen wie Duran Durans Testosteron-Explosion „Wild Boys“ abgesehen und bevor ausgerechnet George Michael 1987 den Hetero-Vollmacho in „I Want Your Sex“ gab, war der 80er-Pop eine angenehm unchauvinistische Angelegenheit, mit schwer (new) romantischen, verspielten bis albernen und/ oder souhg-melanchohschen Einschlägen (und auch die erste Mainstream-Popveranstaltung, bei der bekennend schwule Musiker in Bands wie Frankie Goes To Hollywood, Bronski Beat und Erasure ganz vorn mitspielen durften). Dass sich da zuerst einmal vor allem Frauen wieder rantrauen, muss also niemanden wundern. Wer als Mann dennoch mitmischen möchte, sollte sich besser beeilen. Denn Victoria Christina Hesketh (Little Boots) hat sich schon was dabei gedacht, wenn sie zum aktuellen Trend lapidar feststellt: „Ich denke, das hier ist einfach eine Sache des Zeitgeistes, die aus einer gewissen Übersättigung an all den Indiebands resultiert. Aber Musik hat ja schon immer so funktioniert, daraufist Pop aufgebaut. Und ich bin mir sicher, dass wir nächstes Jahr zur gleichen Zeit sagen werden: ,Oh, bitte komm mir nicht mit noch so einem schrulligen Mädchen mit einem Keyboard!'“ Und was werden wir dann wohl erst über zu spät gekommene schrullige Jungs mit ihren Keyboards sagen?